Texafol

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Titel des Objekts: Texafol Leipzig (ehemalige Weberei und Jutespinnerei Tränkner und Würker)

Adresse: Lützner Str. 171, 04179 Leipzig

Stadtteil: Leipzig Lindenau

Industriezweig/Branche/Kategorie:

  • ehemals: Spinnerei/Weberei Textilerzeugung für Verpackungszwecke. Basis früher Jute, später Hochdruckpressenfaden aus Polyäthylen und Polypropylen. Gewebe für Säcke. Zeltfertigung in einem anderen Betriebsteil.
  • heute: z.Zt. größtenteils Industrieruine, Umnutzung u.a. für Wohnen und Gewerbe vorstellbar, jedoch liegen hierzu keine konkreten Information vor.

Kurzcharakteristik:  Die Jutespinnerei wurde um 1896 von „Tränkner und Würker“ an der Lützner Straße unweit vom heutigen Karl Heine Kanal in Betrieb genommen. Produkte wie Säcke waren über viele Jahre u.a. die Erzeugnisse dieser Firma. Zu Beginn der 1970er Jahre Umstellung auf Folie, aus der nun die Verpackungsmaterialien bestehen. Nach der politischen Wende 1989 kam schnell das Aus für den Betrieb und der Verfall setzte ein. Ausnahme bildet ein hier ansässiges Gesundheitszentrum, das einen kleinen Teil der Gebäude nutzt und saniert hat. Die Zukunft für Areal steckt noch in der Planungsphase.

Datierung (Bauzeit): ca. 1896/97 Areal an der Lützner Straße

Objektgröße: Grundstück ca. 3 ha, Nutzfläche ca. 10.500 m²

Ursprüngliche Nutzung: Die Erzeugung von Textilien aus Jutefaser bestimmte über Jahrzehnte das Profil des auch als „Spinne“ bezeichneten Werkes aus der Gründerzeit.
Ab den 1960er Jahren ersetzt Folie und Co. die Naturfaser völlig. Auch Fäden wie Erntebindegarn standen auf der Produktionsliste sowie Säcke aus gewebter Folie. Zu DDR-Zeiten gefragte Export-Artikel ins westliche Ausland für Dünger -, Zuckerfabrikate und vieles mehr.
Nach der politischen Wende 1989 firmiert das Unternehmen als „Texafol Leipzig GmbH“ nur noch kurze Zeit.

Heutige Nutzung:  Ein Gesundheits-und Sportzentrum hat Teile des Werkes im südlichen Geländeteil in der Ecke Groitzscher- / Wiprechtstraße sanieren lassen. Der Großteil des Werkes kann derzeit nur als Ruine bezeichnet werden. Wind und Wetter plus Vandalismus haben schwere Schäden hinterlassen. Die Bausubstanz ist bedroht und teilweise schon zerstört. Pläne für eine Wiederbelebung durch einen Bauträger soll es schon gegeben haben. Dann könnten die alten Mauern Wohnungen und Gewerbe aufnehmen und die Erinnerung an einen der ersten großen Gründerzeitbetriebe von Lindenau wachhalten.

Bau- und Firmengeschichte:  Die Wurzeln reichen bis ins Jahr 1865. Da wird die mechanische Leinen und Juteweberei im Pötzschker Weg 4 von Tränkner und Würker erwähnt.
Nicht die große Mode-aber trotzdem erfolgreich… die textile Verpackung bildet das Spektrum der Firma. Haltbarkeit und Zweckmäßigkeit zeichnen die Produkte aus. Auf einem Grundstück in Lindenau an der Lützner Str. 171 begann 1896 die Errichtung einer neuen Weberei. Das Areal wurde von der Westend-Baugesellschaft erschlossen. Es war eine der ersten Industrieansiedelungen in Lindenau am zur damaligen Zeit noch jungen Kanal (heute als „Karl-Heine-Kanal“ bezeichnet). Später kam hier auch die Jutespinnerei hinzu. Werkseigentümer „Tränkner und Würker“ ließen die Anlagen in Ziegelbauweise ausführen. Als Architekt ist Paul Hübner aus Hamburg betraut. Andere Quellen berichten vom Architekturbüro Händel und Franke aus Leipzig, welches aber nur Teile des Werkes errichtet haben soll.
Auf dem 5.internationalen Maschinen-Markt, der vom 19. – 21. Juni 1885 in Leipzig stattfand, beteiligte sich die Firma mit folgenden Erzeugnissen: Säcke, Planen-Muster sowie wasserdichte Decken.
Die Festschrift zur 28. Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure aus dem Jahr 1887 berichtet u. a. auch über diesen Betrieb. So ist ein kurzer Einblick aus dieser Zeit erhalten: „Es gibt 2 Dampfmaschinen mit je 35 PS, diese treiben die vorhandenen Hilfsmaschinen an und erhalten den erforderlichen Dampf aus einem Kessel von 59,9 m² Heizfläche. 104 Arbeiter sind beschäftigt mit der Zwillich-, Leinen-, Jute- und Segeltuchweberei sowie mit der Herstellung von rohen und wasserdichten Lowry und Wagendecken in Verbindung mit der Anfertigung von Säcken.
In der Weberei sind 50 Webstühle von einer Blattbreite bis zu 3,5m, 7 Treib- und Spulmaschinen, 3 Scheermaschinen, 1 Looping-Winding-Maschine, 1 Zwirnmaschine, 1 Garnmangel und 1 hydraulische Presse in Betrieb. Es werden in der Weberei jährlich bis zu 6-700.000 lfdm Stoffe hergestellt.
Bei der Säcke-Fabrikation sind 35-40 Nähmaschinen, 3 Bindfaden-Nähmaschinen und 2 Sackzuschneidemaschinen tätig, von denen jede pro Tag bis zu 10.000 Säcke liefern kann. An Säcken werden jährlich 1Mio bis 12Mio fabriciert. Der Consum an Material beziffert sich jährlich auf:
ca. 8.500ctr. Jute-Garn / ca. 750 Schock Tow- und Flachsgarne / ca. 400ctr. Hanf-Garne und / ca. 7.500 Pfund Zwirn.“
Im Jahr 1902 kommt es zu Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Die Firma bezeichnet sich fortan als: „Jutespinnerei und Weberei, Tränkner und Würker Nachf. A.G.“
Warenaufzüge für Lagerräume sowie eine Luftbefeuchtungsanlage in der Spinnerei sind Neuerungen, von denen 1906/07 berichtet wird. Desweitern vom Erwerb eines benachbarten Grundstücks und Abtragung von Hypotheken und Bankdarlehen. Die Bindfadenfabrik Knauf und Co. in Walternienburg bei Zerbst erwarb man 1910.
In der Zeit des 1. Weltkrieges wird die Materialversorgung zum Problem. Steigende Rohstoffpreise und schlechte Qualität sind Grund zur Sorge. Jute ist kaum mehr zu beschaffen und in Deutschland werden Bestände konfisziert, damit die Firma weiter produzieren kann und ihre Mitarbeiter nicht entlassen muss. Für Planen, Zelte, wasserdichte Decken und Tornister ist das Militär in dieser Zeit ein großer Abnehmer.
1912 besitzt die Firma in Lindenau zwei Fabrikgebäude. Ein Standort ist die Zeltfabrik in der Hähnelstraße 28. Ins Jahr 1915 fällt auch die Bewilligung der Mittel für den geplanten Kontorumbau. Die folgenden Jahre der Inflation sowie Weltwirtschaftskrise und Währungsumstellung überdauert die Firma und kann alle Aufwendungen für Instandhaltungen und Reparaturen aus dem Betrieb decken. Die Preise der Produkte steigen und die Auftragslage ist veränderlich. Durch Einbindung in die Rüstungsindustrie während des 2.Weltkrieges steigt der Absatz aufgrund des umfangreichen Bedarfes an Textilmaterialien erneut. Die letzte ordentliche Hauptversammlung der Aktionäre findet am 28.07.1943 im Speisesaal in der Lützner Str. 171 statt.
Nach dem Volksentscheid 1946 zur Enteignung ist auch diese Aktiengesellschaft nicht mehr existent. Zunächst als „VEB Jutespinnerei“ bezeichnet wird in den 1960er Jahren das Werk als „VEB Jutespinnerei und –werberei Leipzig“ geführt.
1969 wird das 100jährgie Firmenjubiläum begangen. Ab den 1970er Jahren nach Wegfall der Juteverarbeitung nennt sich die Fabrik „VEB Texafol Leipzig“ als Teil des VEB (K) Textile Verpackungsmittel Weida. Eine vollständig neue Generation an Maschinen hielt Einzug in die Werkhallen. In 3 Schichten wird von Montag-Freitag hart für die Planerfüllung gearbeitet. Bei Bedarf mussten Sonderschichten eingelegt werden, um die Exportverpflichtungen vor allem ins westliche Ausland einhalten zu können. Großer Beliebtheit erfreuten sich die in geringer Stückzahl gefertigten Einkaufsbeutel aus Folie für die Mitarbeiter. Langlebigkeit auch bei schweren Lasten wie Flaschen oder Kartoffeln waren deren Vorzüge.
Nach der politischen Wende kam schnell das Ende der „Texafol Leipzig GmbH“. Ein für den Export wichtiger Betrieb hat seine Absatzmärkte und Funktion verloren. Der Verfall beginnt in den 1990er-Jahren, gepaart mit Vandalismus.
Am 02.03.2017 wurde die Firma im Handelsregister gelöscht.

Objektbeschreibung: Von den aus roten Klinkern gefertigten Bauten ist unter anderem das Kesselhaus mit dem 50 m hohem Schornstein noch vorhanden. Das Dach der Maschinenhalle besteht aus Profilstahl und das darunter befindliche Tragwerk ist ähnlich einem Fachwerk ausgeführt. Große Schwungräder sorgten zu Zeiten der Dampfmaschine, die von der Firma Gebr. Sulzer aus Winterthur neu erworben wurde, für eine kontinuierliche Verteilung der Antriebsenergie über Transmissionsriemen zu den Maschinen. Später stand dort eine 400 PS Gleichstrommaschine zum Antrieb eines Wechselstromgenerators im Einsatz. An der Front zur Lützner Str. ist die Fassade mit gelben Klinkern strukturiert und verfügt zum Teil über 2 Etagen. Hier befand sich unter anderem das Kontor sowie später Garderoben der Mitarbeiter. Die weiteren in der Größe beachtlichen Hallenbauten schließen sich mit der ehemaligen Weberei und Speisesaal nach Richtung Süden an und verlaufen parallel zum Kanal. Die Hallen sind in 3 größere Produktionsareale unterteilt. 1908 ist die Fensterseite am Kanal verändert wurden. Auch von einem Wohnhaus mit Veranda sowie von einer Freitreppe zum Kanal berichten Quellen. Richard Wels sowie Max Bösenberg und Sohn, alles Leipziger Architekten, erarbeiten 1917 und später 1922 Umbau-Vorlagen für Erweiterungen und nötige Anpassungen der Gebäude.
Schäden des 2.Weltkrieges werden um 1946 beseitigt. Die Pläne dazu liefert Wolfgang Lohmer, ebenfalls ein Leipziger Architekt.
Ein regelspuriger Bahnanschluss nach dem Bf. Plagwitz war vorhanden und versorgte die Fabrik über Jahrzehnte mit Kohle, den notwendigen Rohstoffen und sorgte für den Versand der Erzeugnisse. Im 2.Weltkrieg wurde die nahe gelegene Eisenbahnbrücke über den Karl-Heine-Kanal zerstört und nicht wieder neu errichtet. Damit war die Bahnanbindung in diese Richtung für immer unterbrochen. Pfeilerreste sind in der Str. „Am Kanal“ noch zu finden. Nach Querung der Lützner Str. war Leipzig-Plagwitz Industriebahnhof über das das Stammgleis PX danach noch erreichbar. Die Nutzung der Anschlussbahn endete 1961.
Bemerkenswert sind die unterschiedlichen Bauhöhen der Firmengebäude, die westlich vom am Karl-Heine-Kanal verlaufenden Fuß- und Radweg recht gut sichtbar sind.
Bei der Verbeiterung der Luisenbrücke im Ausbau der Lützner Str. im Jahr 2011 werden Teile des Geländes in Anspruch genommen und Bauten im Eingangsbereich wie das Pförtnergebäude abgerissen. Auch als Filmkulisse hat das Werk schon gedient.
2017 fanden auf dem Werkgelände Rodungsarbeiten statt. Seither hat es keine erkennbaren Aktivitäten an dem ortsentwicklungsgeschichtlichen Areal mehr gegeben.
Am Ende der Groitzscher- / Wiprechtstraße ist das bereits erwähnte Gesundheitszentrum zu erreichen. Diese inzwischen sanierten Bauten gehörten zur Jutefabrik und hatten u.a. auch Stallungen für Pferde. Dort fand 1910 eine Planen-Näherei ihren Platz. Der Rest der Firma ist derzeit nicht zugänglich, eingezäunt und wartet auf eine hoffentlich neue Nutzung.

Quellen/Literatur/Links:

  • PRO LEIPZIG e.V. 2004, Neu-Lindenau, Eine historische und städtebauliche Studie
  • Festschrift zur 28. Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure aus dem Jahr 1887, Sächsisches Wirtschaftsarchiv Leipzig
  • Architekten Händel und Franke Leipzig – Verzeichnis Ausgeführter Bauten, Sächsisches Wirtschaftsarchiv Leipzig
  • Das Aufkommen der Großindustrie in Leipzig, Verlag von Veit u. Comp. 1912, Dissertation von Karl Juckenburg (Langensalza), Sächsisches Wirtschaftsarchiv Leipzig
  • Bericht/Protokoll vom Königl.-Sächs. Notar-Justizrat Dr. Alfred Engel vom 21. Dez.1915 über die an diesem Tag einberufene ordentliche Generalversammlung der Aktiengesellschaft, Sächsisches Wirtschaftsarchiv Leipzig
  • https://www.online-handelsregister.de

Autor: Mathias Mann

Fotos: Mathias Mann, 02.11.2018 und 17.02.2019

Datum: Februar 2019